Dienstag, 15. November 2016

Warum Bullen ein rotes Tuch für mich sind



Über Red Bull Leipzig wird derzeit viel geschrieben und geredet und das ist auch gut so. Nichts wäre schlimmer als so zu tun, als sei dieses Projekt, das sich als Verein ausgibt, einfach ein normaler Aufsteiger, der sich sportlich sehr gut präsentiert.

Kritik an Red Bull Leipzig macht sogar die ansonsten auf einem höheren Niveau angesiedelte FAZ an der angenommenen Traditionslosigkeit des Projekts fest. Das ist ein Irrtum. Es geht nicht darum, dass Red Bull Leipzig nicht schon 19xy gegründet wurde und keine Fans hat, deren Väter schon zu den Spielen der "Bullen" gegangen wären. Es geht darum, dass Red Bull Leipzig eine bestimmte Tradition nicht hat - die des Fußballs der den Fans gehört.

Als ich im Alter meiner jüngsten Tochter war, hatte ich genau zwei Möglichkeiten, an Bilder meiner Lieblingsspieler zu kommen: den Kicker und Panini. Wenn ich das Logo meines Vereins auf irgendeinem Gegenstand des täglichen Gebrauchs sehen wollte, nahm ich einen Filzstift und malte es dort hin. Wann immer ich meiner Vorliebe für einen Verein Ausdruck geben wollte, musste ich etwas tun. Ich musste meine Fantasie, meinen Grips und meine Kreativität benutzen. Ganz zu schweigen von meinen Filzstiften. Und alles, was ich damit ausdrückte, kam von mir. Nichts davon war made in China!
Wenn ich heute das Logo meines Vereins auf einem Gegenstand des täglichen Gebrauchs sehen will, gehe ich in den Fanshop oder bestelle es im Internet. Es gibt dort schon alles. Nichts davon habe ich selbst gemacht. Keiner dieser Gegenstände drückt meine wirklichen, persönlichen Gefühle aus und sie sind ALLE made in China!

Das ist nicht nur im Fußball so. Für Filme, Bücher, Philosophien gilt das nämliche. Ich muss weder meine Fantasie, noch meinen Grips, noch meine Kreativität und schon gar nicht meine Filzstifte anstrengen, um irgendein Gefühl, eine Überzeugung oder eine Vorliebe für andere sichtbar zu machen. Ich kann das alles KAUFEN.

Und genau das ist es, was Red Bull Leipzig in der Bundesliga, dieser für alle sichtbaren Bühne der Gesellschaft, tut: sie nehmen unsere Gefühle und verkaufen sie uns. Alles, was ich noch bewegen muss, um etwas sichtbar zu machen, das individuell, persönlich und echt sein sollte, ist mein Zeigefinger, um auf Kaufen zu klicken.
Genau an dieser Stelle verwandeln wir uns endgültig in Homo consumens. Wenn wir DAS mit uns machen lassen.

Red Bull Leipzig hat keine Fans sondern Kunden. Und machen wir uns nichts vor - wir sind alle auf dem Weg dorthin. Aller unsere Gefühle für unsere Vereine lassen sich verkaufen. Auf Adventskalendern. Auf Babystramplern. Auf Oktoberfestdirndls! Alles gibt es mit dem Logo meines Vereins. Red Bull hat das nicht erfunden. 
Aber Red Bull führt uns unmissverständlich vor Augen, wie weit wir auf diesem Weg schon sind. Das Motto dieser Gesellschaftsform lautet: Ich konsumiere, also bin ich.

Red Bull Leipzig ist nicht der Tod des deutschen Fußballs, oh, nein. Red Bull Leipzig ist nur das Symptom. Das mit Brausemillionen zusammengekaufte Team ist nicht die Pest, sondern die Beule. An der Art, wie sich das Projekt der Öffentlichkeit präsentiert - als die schöne, neue Fußballwelt - ist überdeutlich zu erkennen, wohin unser alle Reise gehen soll. Wir dürfen alle ganz verschieden sein, solange wir unsere Verschiedenheit beim selben autorisierten Händler kaufen. Wir dürfen fühlen, was wir wollen, solange es eine Bestellnummer im Katalog hat.
DAS ist das Gefährliche an Red Bull Leipzig. Und das ist der Grund, warum die kreative Kritik am Limonadenprojekt nicht verstummen darf. Sie steht stellvertretend für eine andere, größere Kritik: der Mensch, als Person, in seiner Individualität, mit seinen eigenen Erfahrungen, Gefühlen, seiner Geschichte ist keine Ware. Es gibt Dinge, die sind weder verkäuflich noch käuflich. Fansein darf keinen Strichcode tragen. 
Wir sind Fans, keine Kunden.

Meine Gedanken auf Englisch:http://www.unusualefforts.com/modern-football-fandom/